Luftballon
Mobbing unter Kindern und Jugendlichen - 6.4.2011
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Der Förderverein der Lindenschule und die Lindenschule hatten eingeladen zu einem Abend über Mobbing unter Kindern und Jugendlichen. Referentin des Abends war Frau Gabriele Kraus-Gruner, Diplom-Pädagogin.

Wer von den Eltern oder Lehrern gedacht hatte, Mobbing sei kein Thema für eine Grundschule, musste hören, dass jedes 7. Kind zwischen 7 und 15 Jahren Opfer von Mobbing wird. Am häufigsten sind Kinder der 2. und 3. Klassen betroffen. Die Hälfte der Betroffenen erzählt den Eltern nichts von ihren Erfahrungen. In 80% der Mobbingfälle findet kein persönliches Gespräch mit den Eltern statt. 20% aller kindlichen oder jugendlichen Selbstmörder sind Mobbing-Opfer. Die Folgekosten von Mobbing betragen - geschätzt - 50 Milliarden Euro pro Jahr. Alleine diese Zahlen sprechen dafür, dass Eltern und Lehrer sich informieren müssen.

Mobbing geschieht in Phasen:

  • Zunächst explorieren Täter, ob ein Kind/Jugendlicher zum Gemobbt-Werden taugt.
  • Im Konsolidierungsstadium kann das Mobbing sich etablieren, da es nicht gestoppt wird. Täter gehen verdeckt vor und andere Menschen schauen weg.
  • Im Stadium der Manifestation ist das Opfer festgelegt. Was mit dem Opfer geschieht, bestimmt der Täter. Ein Gewöhnungsprozess setzt bei den Beteiligten ein. Erste gesundheitliche Schäden treten auf. Das Opfer denkt, es habe etwas falsch gemacht und erlebt sich als ohnmächtig.
  • In dieser Stufe eskaliert die Situation. Das Opfer verliert jegliche Hoffnung, dass ihm geholfen werden könnte. Seine Orientierung an Normen und Verhaltensregeln geht verloren. Es weiß nicht mehr, dass es ein Recht auf Unversehrtheit hat. Stress, Angst, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Depressionen ... treten auf - bis hin zur posttraumatischen Belastung, die chronisch werden kann.

Am Mobbing-Vorgang ist ein ganzes System beteiligt. Da ist zunächst der Täter, der (oder die) seinen Platz als Akteur beansprucht. Ihm zugeordnet sind die Zuschauer, die "Möglich-Macher". Sie sonnen sich im Flair des Akteurs. Häufig dienen sie als Verstärker für den Tätern, den sie anfeuern. Nicht selten ist dieses Verhalten taktisch motiviert - es soll dem eigenen Schutz dienen. Die Gruppe der Zuschauer verhält sich unauffällig. Zuschauer lehnen die Gewalt ab, ohne etwas gegen sie zu unternehmen. Häufig rechtfertigen sie die Gewalt ("Der/die ist aber auch blöd..."). Auch Lehrer können Teil des Mobbing-Systems sein, wenn sie nicht eingreifen, die Vorgänge ignorieren, den Schülern die Situation überlassen, Hilfe verweigern und nicht erkennen, dass es auch in ihrer Schule und in ihrer Klasse Mobbingvorgänge gibt. Genauso können Eltern Zuschauer sein, wenn sie zu den Erfahrungen ihres Kindes gegenüber der Schule schweigen.

Das Mobbing befriedigt unterschiedliche Bedürfnisse. Wer zur Täterseite "dazugehört", ist integriert. Er kann sich mit dem Täter identifizieren, Aggressionsbedürfnisse und Machtbedürfnisse ausagieren. Mobbing bietet Gesprächsstoff und Unterhaltung. Es fehlt jegliche Empathie für das Opfer. Täter sind oft unsichere Kinder oder Jugendliche, die nicht selten eigene Gewalterfahrungen haben und nicht wissen, wie Kontakte in einer Gruppe anders als durch Gewalt hergestellt werden können. Täter erleben häufig in ihrem sozialen Umfeld keine Dialogkultur, sind aber andererseits sehr umsichtig in der Wahrnehmung anderer, die sich als Opfer eignen könnten. Ihre Entscheidung für gewalttätiges Verhalten wird in jedem Fall vorsätzlich getroffen.

Opfer kann jeder und jede werden. Es braucht nur einen Täter, der sein Opfer aussucht und ein System Beteiligter, die nicht zum Schutz des Opfers eingreifen. Opfer schweigen, weil sie keine Hilfe erwarten, aus Scham, weil sie ihre Eltern nicht ängstigen wollen, weil sie Angst vor falschen Ratschlägen haben ("Wehr' dich doch!"), weil sie sich selbst aufgegeben haben.

"Das geht wieder vorbei" - diese Überlegung ist angesichts von Mobbing immer wieder zu hören, aber falsch. Der Mobbingprozess kann nur von außen gestoppt werden.

Eltern können einiges tun, um ihren Kindern zu helfen. Zunächst können sie Informationen sammeln, behutsam mit ihrem Kind sprechen,  ihm Grundsätzliches über Mobbing berichten, das Kind ein Mobbing-Tagebuch führen lassen - das ist ein Schritt des Kindes aus der erlebten Ohnmacht heraus -, die Schule informieren und schließlich Krankheitssymptome ärztlich bestätigen lassen.

Auch Lehrer können einiges tun, um betroffene Kinder zu schützen. Sie sollten nicht Täter und Opfer konfrontieren - das würde die Gefahr für das Opfer nur erhöhen und es ist nicht auszuschließen, dass auch Lehrer zum "System" dazugehören. Gut ist, wenn die Schule ein Konzept für den Fall des Mobbing-Verdachtes hat, bei dem 2-3 LehrerInnen aktiv werden. Häufig ist bereits hilfreich, wenn der Täter zur Rede gestellt wird, mit ihm eine Vereinbarung getroffen wird und das Einhalten dieser Vereinbarung auch überprüft wird. Dann weiß der Täter, dass sein Verhalten nicht unbeobachtet ist.

Am Ende ihres Vortrages, der immer wieder durch Beobachtungen und Fragen von Eltern/Lehrern ergänzt wurde, wies die Referentin darauf hin, dass Mobbing auch im Internet verbreitet ist und dort der Mangel an Empathie für das Opfer durch das Distanz schaffende Medium Internet noch größer ist als in nicht-virtuellen sozialen Kontakten.
Erika Kerstner